15 Jahre ThEx Enterprise, 16 Jahre Mikrofinanzagentur: Von Aquarien, Stolpersteinen und Aufgaben für die Zukunft

In einer hybriden Veranstaltung – sowohl in Präsenz im ThEx-Gebäude in Erfurt als auch digital übertragen – wurde zurückgeschaut auf die vergangenen Jahre, aber auch ein Blick in die Zukunft der Thüringer Gründerlandschaft gewagt. 

Die Themen Gründung und Finanzierung in Thüringen standen im Mittelpunkt und wurden mit Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie Gründerinnen und Gründer aus 15 Jahren Enterprise und 16 Jahren Mikrofinanzagentur diskutiert.

Wolfgang Tiefensee, Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, sieht in Thüringen ein solides Fundament in der Gründungsunterstützung, sowohl für Neugründungen als auch Unternehmensnachfolgen. Wo Thüringen seiner Meinung nach aber besser werden muss: in der Haltung des Einzelnen in Bezug auf Unternehmertum. „Wir brauchen eine bessere Gründungskultur.“ Dazu sei es auch notwendig, bereits Kinder und Jugendliche für das Thema Unternehmertum zu sensibilisieren. „Gründungen nachhaltig begleiten, das ist unsere Hauptaufgabe für die Zukunft.“

Dirk Wegler, Gründungsbegleiter der ersten Stunde und derzeitiger ThEx-Leiter, erinnert sich: „Jede Gründung, die ich als Mitarbeiter von Enterprise begleitet habe, hatte immer einen persönlichen Bezug. Mittlerweile begleite die beiden Projekte ca. 750 Menschen pro Jahr – ein großer Teil davon gründet ein eigenes Unternehmen, sowohl im Neben- als auch im Haupterwerb.

„Lebe deinen Traum und kämpfe dafür!“

Als erste Gründerin kam Katja Stimmer zu Wort, die unter dem Pseudonym und gleichzeitig Unternehmensnamen „Fräulein Meier“ seit sieben Jahren einzigartige Handarbeitsprodukte fertigt und in ihrem Laden in der Jenaer Innenstadt verkauft.  In ihrem FACHgeschäft vermietet sie ihre Fächer und Flächen an Künstler und Kreative. „Eine Ladeneröffnung war nicht mein Ziel, sondern eher Zufall“, so Stimmer. Rückblickend sei es eine Aneinanderreihung vieler Zufälle, inklusive der Begleitung von ThEx Enterprise, die sie zur Unternehmerin machten.  Stimmer würde alles nochmal so machen.

Genau wie Katja Stimmer ist Frank Junger, Mitgründer von Miraculix, zufrieden mit seiner Entscheidung. Er und seine Mitgründer haben das „Labor für die Hosentasche“ entwickelt – womit erstmals Konzentrationen und Zusammensetzungen psychedelischer Substanzen einfach bestimmt werden können. Eine Empfehlung hat er jedoch für Thüringen: Das Land solle versuchen, die Gründer*innen bereits an den Hochschulen abzuholen und mehr an die Hand nehmen. „Außerdem ist es schwierig, Förderangebote zu durchblicken.“

Doreen Löser-Nestora, die gemeinsam mit ihrem Mann den Shop für griechische Spezialitäten „Alpha Omega“ gründete, würde den Weg in die Selbständigkeit immer wieder gehen. Trotz zahlreicher Stolpersteine, verlor sie nie ihren Mut und formulierte einen Appell an alle Gründungsinteressierten: „Lebe deinen Traum und kämpfe dafür!“

Gründungen finden im Alltag statt

Das ländlich geprägte Thüringen verfügt über keine großen Ballungsgebiete. „Mit diesen Gegebenheiten müssen wir umgehen. Sie sind hilfreich und Herausforderung zugleich“, so Dr. Sabine Awe aus dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft. Sie ist beeindruckt und fasziniert von jeder Persönlichkeit, die den Mut hat, sich selbstständig zu machen. „Deren Nöte und Herausforderungen müssen wir aufgreifen und in die richtige Richtung lenken.“

Thüringen versuche, ein breites Spektrum an Ansprechpartner*innen bereitzustellen, zuerst IHK oder HWK. „Über viele Jahre haben wir erkannt, dass dies nicht reicht. So ist das ThEx mit seinen Projekten entstanden – um zu beraten, informieren und sensibilisieren.“ An diesen Stellen müsse weitergearbeitet und der Instrumentenkasten, den es in Thüringen schon gibt, ausgebaut werden.

Auch Markus Hirche, Leiter der beiden ThEx-Projekte Enterprise und Mikrofinanzagentur, ist überzeugt von den vielen Akteuren, die Ansprechpartner für Gründer*innen sind. „Das ThEx in Erfurt ist der zentrale Anlaufpunkt. Die Pandemie hat aber gezeigt, dass es nur ein Baustein ist. Wichtig ist es, in die Regionen zu kommen, auch um in schwierigen Situationen Vertrauen aufzubauen.“ Intensivieren wollen Enterprise und Mikrofinanzagentur die schon jetzt gute Zusammenarbeit mit weiteren Netzwerken und Akteuren thüringenweit. „Das ist unsere Aufgabe für die Zukunft.“

Über die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren sprach Prof. Dr. Matthias Menter von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seiner Meinung nach müsse Unternehmertum als soziales Gut betrachtet werden, das gefördert werden müsse. „Unternehmertum sollte öffentliche Priorität sein, gleichrangig mit Bildung, Sicherheit, Wohlfahrt, Energie und Gesundheit. Nur, wenn alle beteiligten Akteure an einem Strang ziehen, können Synergiepotenziale gehoben werden“. Dazu müsse man aber die Kernkompetenzen der verschiedenen Player analysieren und überlegen, wie sie sich ergänzen können.

Unternehmertum an Schulen leben

Von ihrem Projekt zur Geschäftsmodellentwicklung einer Social-Media-Agentur in Thüringen erzählten die Schüler Oliver und Julian. Eine Woche lang begleitete ThEx Enterprise eine Gruppe von Schüler*innen des Staatliches Berufsschulzentrum Kyffhäuserkreis bei einer fiktiven Unternehmensgründung. Für die Lehrerinnen Franziska Butz-Arnold und Jasmin Schorcht war dieses Projekt für das Fachgebiet Management unheimlich wichtig. „ThEx Enterprise brachte die Praxis in die Schule. Das ist im normalen Unterrichtsalltag nicht möglich“, so Jasmin Schorcht. „Aber dafür muss einfach Zeit eingeräumt werden.“ Über sich hinausgewachsen seien die Schüler*innen, so Fachlehrerin Franziska Butz-Arnold. „Die Schüler*innen haben sich schnell in Gruppen zusammengefunden und Kompetenz in hoher Geschwindigkeit entwickelt“.  Nicht mehr als Gruppe, sondern als Team seien sie nach der Abschlusspräsentation auseinandergegangen. „Die Mentorinnen von ThEx Enterprise haben geniale Arbeit geleistet. Die Schüler*innen haben einen ganz anderen Blick auf das Unternehmertum erhalten. Für uns war das unheimlich wertvoll.“

Die beiden Schüler Julian und Oliver waren begeistert von der Projektwoche. „Logo, Werbevideo, Webseite, Rechtsformwahl: Wir haben die Aufgabe von Anfang bis Ende durchgezogen“, so Julian. „Es war schön, vom theoretischen Managementunterricht etwas Praktisches umzusetzen“. Auch Oliver hat viel gelernt: „Schwierige Entscheidungen zu treffen und sich mit anderen Gruppen abstimmen, das war am schwersten. Aber wir haben viel gelernt, vor allem über selbstständiges Arbeiten und wie es ist, seine Zeit frei einzuteilen“.

Selbstständig sein und selbstständig machen

Dass Unternehmergeist in Schulen stärker verankert werden muss, gab Prof. Ewald Mittelstädt von der Fachhochschule Südwestfalen zu bedenken. Es bestehe definitiv ein Unterschied zwischen „selbstständig sein“ und „selbstständig machen“. „Selbstständig sein“ sei eine bildungspolitische Aufgabe. Unternehmerisches Denken und Handeln müsse bereits bei jungen Erwachsenen gefördert werden. „Selbstständig machen“ sei dagegen wirtschaftspolitische Aufgabe. Beide Aspekte seien aber eng miteinander verbunden. „Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern tut sich Deutschland schwer, Unternehmergeist in Schulen zu definieren.“ Lehrkräfte seien aber maßgeblich für Bildungserfolg und die Einbettung von Unternehmergeist im Unterricht verantwortlich. Dazu brauche es aber eine Verankerung von Entrepreneurship Education – in Lehrplänen, Fortbildung von Lehrkräften, finanzieller Förderung und Unterstützung aus der Wirtschaft.

Nischen werden sich auftun

Dass die Gründungslandschaft in Bewegung ist, davon ist auch Dirk Wegler überzeugt. „Sie wird definitiv vielfältiger, neue Nischen werden sich auftun, andere dafür schließen“

Wie vielfältig die Gründungslandschaft sein kann, zeigt das Beispiel von Pferdeverhaltenstherapeutin Navina Fröhlich. Ihre Arbeit ist vergleichbar mit der einer Eheberatung. Erst spricht sie mit dem Menschen, dann mit dem Pferd – am Ende mit beiden gemeinsam. „Mir wurde häufig gesagt, dass ich etwas Schönes mache. Schon länger habe ich mich mit dem Gedanken der Selbstständigkeit beschäftigt“, gibt sie zu. Ende 2020 hat sie den Schritt gewagt, Corona habe ihr aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aufgegeben hat sie allerdings nicht, nur auf Sicherheit gesetzt und startet jetzt im Nebenerwerb durch. Fröhlich ist begeistert, was für ein tolles Gründungsökosystem in Thüringen bereits vorhanden ist. „Anfangs wusste ich nicht, zu wem ich mit welchem Anliegen gehe und wer Antwort auf meine Fragen hat. Das ThEx konnte mir da sehr gut helfen.“

Der gleichen Meinung ist Dr. Malek Harba, Gründer und Leiter des Erfurter Zentrums für Sprachen und Integration. Der promovierte Politikwissenschaftler wusste, dass eine Unternehmensgründung nicht einfach wird. „Allerdings wusste ich nicht ob ich fähig bin, meine eigene Idee umzusetzen“. Schlussendlich bin ich auf das ThEx gestoßen und sehr dankbar für die intensive Begleitung.

Lebendiges Gründungsökosystem in Thüringen zu erhalten

 „Thüringen hat schon ein sehr lebendiges Gründungsökosystem, das wir nur erhalten müssen. Wir sind auf einem sehr guten Weg, eine Kultur zu schaffen, in der das Unternehmertum ein fester Bestandteil ist“, zog Markus Hirche sein Fazit des Fachtags. „In den vergangenen Jahren haben wir viel geschafft – und wir werden noch viel mehr schaffen!“

Den bildhaftesten Vergleich zog Stefan Werner, Landesgeschäftsführer des Paritätischen. „Ein Gründerökosystem stelle ich mir wie ein Aquarium vor. Ein Fisch kann nur schwimmen, wenn das Ökosystem funktioniert und stetig mit neuen Fischarten angereichert wird. Teil dieses funktionierenden Aquariums zu sein, das ist unsere Aufgabe!“